Umfallen? Aufstehen! Guten Tag, ich bin die Resilienz!

 

Ein zentraler Punkt einer Krise ist, dass sie einen unerwartet trifft – meint man zumindest. Tatsächlich ist eine andere Definition viel treffender. Im psychosozialen Sinn bezeichntet der Begriff der Krise eine Situation, die man im Augenblick nicht fähig ist zu bewältigen. Daher auch das Gefühl des Unerwarteten, worauf auch die Annahme fußt, dass die Krise handhabbar gewesen wäre, hätte man sie kommen sehen. Leider stimmt auch das nur zu Teilen: Das benötigte mentale Handwerkszeug geht nämlich oft deutlich über das Offensichtliche hinaus; und falls nicht, dann hatte man vermutlich keine Krise, sondern lediglich ein größeres Problem.

Darüber hinaus zeichnen Krisen sich dadurch aus, dass man ihre Auswirkungen und das Gefühl in ihnen zu stecken nur schwer im Vorfeld vermitteln kann. Trifft einen die volle Wucht eines Verlustes oder einer Entwurzelung, ist das im Allgemeinen eine ganz andere Ebene an Intensität, als man es sich ausmalen kann. Auch die aktuell (hoffentlich) langsam abklingende Corona-Pandemie war für viele Menschen eine Grenzerfahrung oder gar eine handfeste Krisensituation. Hier kommt die Resilienz ins Spiel. Der uns innewohnende Grad an Resilienz bestimmt, ob wir mit derartigen Herausforderungen souverän umgehen oder in eine Krisentrance verfallen. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass wir erstarren und uns gedanklich ausschließlich im Kreis drehen. Ein sinnvolles Handeln ist in einer solchen Schleife nur schwer möglich oder ausgeschlossen. Ich denke, so etwas haben alle von uns in der ein oder anderen Ausprägung bereits erlebt. Möglicherweise nach einer Kündigung oder Trennung oder während eines bedrohlichen, körperlichen Zustands, wie zum Beispiel einer schweren Erkrankung oder Verletzung.

Resilienz ist nicht passiv

Resilienz ist eine Kompetenz; und Kompetenzen bestehen immer aus mehreren Bausteinen. Bin ich beispielsweise kompetent in einer Form der Selbstverteidigung, dann kann man das daran erkennen, dass ich im Moment eines körperlichen Angriffes eine angemessene Reaktion zeige. Meine Persönlichkeit, meine Fertigkeiten und meine Erfahrung prägen diese Reaktion maßgeblich.

  • Bin ich von meinen Fähigkeiten überzeugt und kann für mich und im Zweifelsfall auch für andere Beteiligte einstehen? (Persönlichkeit)

  • Bin ich körperlich fit, kann präzise Bewegungen ausführen und habe ich die entsprechenden Reflexe ausreichend trainiert? (Fertigkeiten)

  • Habe ich diese Fertigkeiten unter Druck getestet? (Erfahrungen)

Ist diese Kompetenz also entsprechend geschult, besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass ich diese Krise gut überstehe. Physisch wie psychisch bin ich in dieser konkreten Situation nun resilient.

Diese Grundstruktur gilt auch für so gut wie alle anderen Kompetenzen. Etwas harmloser wäre zum Beispiel das Kochen. Man erkennt die eigene Kompetenz daran, dass Menschen auch ein zweites Mal eine Einladung zum Essen annehmen. Aufgeschlüsselt würde das grob so aussehen:

  • Ich möchte etwas Leckeres für mich und andere zubereiten. (Persönlichkeit)

  • Ich bin in der Lage Salz von Zucker zu unterscheiden und ein Rezept zu lesen. (Fertigkeiten)

  • Meine Routiniertheit erlaubt mir, ohne viel nachzudenken ein leckeres Mahl für 4 Personen zuzubereiten. (Erfahrung)

Mit diesem Set an Kompetenzen sollte also ein gemeinsames Abendessen zusammen mit dem Besuch keine Krise darstellen. Auch zu einer Herausforderung wird es erst, wenn ich unter Zeitdruck arbeiten muss. Sind meine Kochkompetenzen in diesem Fall nur wenig ausgeprägt, besteht nun die Gefahr, eventuell in eine kleine Krise zu rutschen (“WIE SOLL ICH DENN DAS AUCH NOCH SCHAFFEN?!”).

Resilienz beeinflusst unser Weltbild

Herausforderungen und Krisen testen die eigene Resilienz. Das interessante daran ist, dass die Einschätzung “Herausforderung” oder “Krise” deutlich von der eigenen Resilienz beeinflusst wird. Was für manche lediglich eine Herausforderung darstellt, löst bei anderen Menschen den Krisenalarm aus. Die gute Nachricht ist: Bereits grundlegende Resilienz reduziert den Stressgehalt einer Krise deutlich und lässt sie manchmal zu einer Herausforderung schrumpfen. Sogar in einem Maße, dass lediglich Eustress erzeugt wird, also positiver Stress. Der entsteht, wenn man auf eine herausfordernde Situation trifft, die man als absolut lösbar einstuft. Zähne putzen fällt bei den meisten Menschen nicht darunter, das wäre zu einfach. Eine gewisse Schwelle an Herausforderung muss in jedem Fall überschritten werden, um uns in einen positiven Stresszustand zu versetzen. Jetzt schweife ich aber ab. Kurz gesagt: Je resilienter wir sind, desto weniger werfen uns Krisen aus der Bahn und desto weniger schätzen wir Herausforderungen überhaupt erst als Krise ein. Im Ergebnis steigt die allgemein empfundene Lebensqualität bedeutend.

Resilienz klingt super sinnvoll. Wie baue ich sie auf?

Durch das Schaffen von Kompetenzen häufen wir auch gleichzeitig Resilienz an. Welche wir brauchen, ist sehr individuell. Resilienz setzt sich aus verschiedenen Kompetenzfeldern zusammen, wie zum Beispiel Improvisationsvermögen, positives Selbst- und Weltbild, Realitätsbezug, Selbstverantwortung und unseren Werten, um nur ein paar zu nennen. Menschen sind unglaublich vielfältig und wir besitzen alle hunderte verschiedener Kompetenzen, sodass es uns oft schwer fällt, diejenigen klar zu benennen, die uns fehlen. Ein Ansatz ist zum Beispiel, sich vor einen Spiegel zu stellen, sich mindestens fünf Minuten lang selbst in die Augen zu sehen und alles zu geben, 100% ehrlich zu sich selbst zu sein – auch wenn es eventuell schmerzt. Ein paar Fragen könnten sein:

  • Was ist meine größte Stärke?

  • Was ist meine größte Schwäche, also unter welcher meiner fehlenden Kompetenzen leide ich am meisten?

  • Vertraue ich meinen Entscheidungen?

  • Falls ja: Auf welcher Basis baue ich mein Vetrauen auf? (Nenne 5 Einflüsse)

Ist man nur halbwegs ehrlich gewesen und, noch besser, hat sich derartige Fragen vorher noch nie gestellt, dann sollten sich direkt einige der wichtigsten “Baustellen” melden.

Ansonsten gibt es zahlreiche Resilienz-Guides in Buchform, die einem beim Aufbau helfen können. Selbstverständlich ist ein Blick von außen auch außerordentlich hilfreich. Partner:innen, Familie, Freundeskreis und Arbeitskolleg:innen können oft ehrliches (aber aufgepasst: auch sehr subjektives) Feedback geben und möglicherweise unsere gröbsten Kompetenzlücken benennen. Hillfreich sind auch z.B. Trainer:innen im sportlichen Umfeld, die sich im mentalen Coaching weitegebildet haben. Manche sind in diesem Bereich auch “Naturtalente”, die durch viel Erfahrung einen guten Blick auf das Wesentliche haben. Oder man engagiert eben einen Coach, dessen Aufgabe und tägliches Brot darin besteht, das Beste aus den Klient:innen herauszuholen, wobei das Training von Resilienz oft eine große Rolle spielt.

Glück durch Resilienz

Resilienz ist die grundlegende Kompetenz zur selbstständigen Krisenbewältigung. Wer gelassener auf noch unbekannte Probleme oder schwere Aufgaben der Zukunft blicken kann, fühlt sich insgesamt wohler und ruht in sich. Auch bei Schicksalsschlägen, die außerhalb unserer Kontrolle liegen, hilft uns die Resilienz. Wir werden weniger leiden, uns weniger bis keine Vorwürfe machen und die Situation insgesamt besser handhaben können. Unser Leben wird also insgesamt angenehmer, da es in der Natur unserer Welt liegt, dass die Zukunft nicht vorhersehbar ist. Mit einer gut gestärkten Resilienz fällt es uns einfacher, diese Abwesenheit von Kontrolle zu akzeptieren und in Konsequenz positiver zu leben, zu denken und zu handeln.

Titelfoto by Matheus Viana from Pexels

 
Michail Berenfeld