Schöner leben und mehr Erfolg durch egozentrische Verzerrung

 

Fragt man Paare unabhängig voneinander, welchen Anteil man jeweils zur Hausarbeit beiträgt, liegt das gemeinsame Ergebnis meistens über 100% (vorausgesetzt es wurde beschlossen, sich die Arbeit zu teilen). Auch wenn wir neue Menschen kennenlernen, tritt egozentrische Verzerrung auf: Trinken wir beide gerne Cuba Libre, aber nur Du spielst gerne Tennis, werde ich dich später eher mit dem Cuba Libre in Verbindung bringen, als mit Tennis. Im Straßenverkehr begegnen wir ihr auch: Alle die schneller fahren als man selbst, sind Spinner, alle die langsamer fahren, sind Schnecken. Klingt bekannt, oder? Natürlich treffen diese Anekdoten nicht auf alle Menschen zu, aber ich denke es ist klar, um was es geht. Wissenschaftlich untersucht wird der Effekt natürlich schon länger. In einer japanischen Studie sollten beispielsweise die Probanden faires oder unfaires Verhalten aufschreiben, das sie selbst oder andere begangen hatten [wiki]. Überdurschnittlich oft wurde mit “Ich” begonnen, wenn es um faires Verhalten ging, und mit “Andere”, wenn es um unfaires Verhalten ging. Das ist der Punkt, an dem es langsam ans Eingemachte geht:

Solange es um mich geht, ist alles gut

Bisher klang das ja noch mehr oder weniger harmlos. Man könnte sagen: Na klar, wir sind gnädiger uns selbst gegenüber, weil wir von unseren guten Gründen etwas zu tun, zu sagen und zu denken, überzeugt sind. Dazu trägt auch bei, dass wir bestens über die eigenen Errungenschaften informiert sind, uns aber nicht akribisch notiert haben, wie oft unser:e Partner:in das Bad geschrubbt hat. Das führt uns zum problematischen Teil der egozentrischen Verzerrung: Sie findet oft unter unserem Radar bzw. unterbewusst statt. In einer Studie von Anthony Greenwald, der den Begriff Egocentric Bias prägte, wurde festgestellt, dass ein Großteil der Probanden eine Gehaltserhöhung für sich selbst gerechtfertigter sah, als für die anderen. Denselben Effekt konnte man bei der gegenteiligen Fragestellung, nämlich der Gehaltskürzung, beobachten. Eine Reduktion des eigenen Gehalts wurde als ungerechter angesehen, als wenn es jemand anderen träfe.

Erfolg oder Glück?

Wir neigen also dazu, unseren eigenen Beitrag zu einer Sache höher, wichtiger oder wesentlicher einzuschätzen als den anderer Menschen. Diese Verzerrung der Selbstwahrnehmung führt zum Beispiel auch dazu, dass viele Personen ihren Erfolg ausschließlich auf harte Arbeit, Hingabe und Verzicht zurückführen, was vermutlich in Teilen auch stimmt. Dabei werden jedoch andere Einflüsse, wie der des “Glücks”, übersehen. Beispielsweise sind ca. 40% aller US-Eishockeyspieler, die es in die höchste Liga schaffen, im ersten Quartal ihres Geburtsjahres auf die Welt gekommen [veritasium]. Nur 10% wurden im letzten Quartal geboren. Das liegt daran, dass der Stichtag für die Kid’s Leagues am 1. Januar ist. Daraus folgend ist man also grundsätzlich älter und somit tendenziell schneller und robuster als andere, die nach einem geboren wurden, wenn man früh im Jahr das Licht der Welt erblickte. Eigentlich sollte sich das auf Dauer ausgleichen, allerdings werden erfolgreiche Kinder besser gecoached und erhalten mehr Aufmerksamkeit, was sich wahrscheinlich über die Jahre hinweg aufaddiert.

Warum sind wir tendenziell so?

Dazu gibt es einige Erklärungen und Theorien. Eine davon ist die der selbstwertdienlichen Verzerrung. Diesem Ansatz nach neigen Menschen dazu, ihre Erfolge auf die eigenen Fähigkeiten zurückzuführen, während Scheitern auf externe Einflüsse geschoben wird [stangl.eu]. Dadurch bleibt - einfach gesagt - unser Selbstwert intakt, selbst wenn wir gründlich auf die Nase fallen. Dieser Effekt ist jedoch eventuell nur kurzfristig, denn andere Ergebnisse deuten darauf hin, dass wir umso glücklicher sind, je weiter sich unsere Selbstwahrnehmung mit der Realität deckt. Eine weitere Theorie fußt darauf, dass wir durch derartige Verzerrungen weniger Probleme damit haben, Ungerechtigkeit und Ungleichheit zu akzeptieren. Frei nach dem Motto: “Die da” sind nur arm, weil sie sich eben nicht genug anstrengen. Würden sie das selbe tun, wie man selbst, würde es ihnen viel besser gehen.

Wie soll ich nun damit “schöner leben”?

Es ist sinnvoll, wenn wir unsere eigenen, unterbewussten Stolpersteine kennen. Egozentrische Verzerrung besitzt aber auch einen positiven Anteil: Menschen, die beispielsweise in der absoluten Überzeugung leben, am meisten zur Teamarbeit beizutragen, sind auch motivierter und investieren mehr. Dazu kommt: Wenn wir davon überzeugt sind, dass unser eigener Beitrag alles ausmacht, wagen wir uns auch an größere, schwierigere Vorhaben. Das liegt daran, dass wir dann weniger Vorbehalte haben, es überhaupt anzugehen. Das Bewusstsein der eigenen Wirksamkeit ist grundlegend für persönlichen Erfolg. Der Königsweg wäre meines Erachtens, sich bewusst zu werden, dass man sich nicht auschließlich aus eigener Kraft an der Stelle befindet, an der man momentan im Leben steht, sich dabei aber gleichzeitig klar zu machen, dass der eigene, volle Einsatz oft das Zünglein an der Waage war und sein kann.

Die schlechte Nachricht ist: Wir werden nie wissen, wie groß der jeweilige Anteil war. Die gute Nachricht ist: Das ist egal, denn die Chancen auf Erfolg werden fast nie ausschließlich vom Glück bestimmt (Glücksspiel u.Ä. ausgenommen. Jaja, ich kenne eure Einwände, ihr Füchse!). Der eigene Einsatz hat so gut wie immer einen maßgeblichen Anteil. Selbst wenn ich dadurch meine Chancen lediglich von 10% auf 30% erhöhe, habe ich ordentlich an der Wahrscheinlichkeit gedreht.

Es ergibt also oft Sinn, sich einer Sache mit allem was man zu bieten hat zu widmen, auch wenn man sich im Klaren ist, dass man nicht ALLE Erfolgsfaktoren kontrollieren kann und Glück eine Rolle spielt. Dazu kann das Bewusstsein gegenüber der eigenen, verzerrten Wahrnehmung außerdem dazu führen, dass wir bei Fehlschlägen weniger hart mit anderen und/oder uns selbst ins Gericht gehen - und wenn das nichts wert ist, dann weiß ich auch nicht. Wir werden also effektiver und sozialer, wenn wir die Grenzen und Einschränkungen unserer Wahrnehmung kennen.

Titelbild: Pexels

 
Michail Berenfeld